Postkarte von Heinrich Zille, 1918, Fotografie © Stiftung Stadtmuseum Berlin
Sonderausstellung vom 6. November 2021 bis zum 9. Januar 2022
Der bis heute populäre „Pinselheinrich“, Milljöh-Schilderer und Witzblatt-Zeichner „Vater Zille“ hat es nach wie vor nicht leicht, seinen Rang als ernstzunehmender Künstler zu behaupten. Schon in den 1920er Jahren hatte das – selbst gepflegte – Image als Gebrauchs- und Unterhaltungskünstler den Illustrator des Simplicissimus und der Lustigen Blätter eingeholt. Der hervorragende Zeichner war so sehr in den Hintergrund geraten, dass sowohl Zilles Berufung an die Akademie der Künste im Jahr 1924 für Überraschung sorgte, wie die Retrospektive anlässlich seines 70. Geburtstags 1928 einen Vielen unbekannten Künstler präsentierte.
Die öffentliche Führung am 4. Dezember 2021 durch die Zille-Sonderausstellung muss leider entfallen.
Heinrich Zille, Straßenmädchen, 1902, Farbradierung ©Privatsammlung
Um 1900 war Heinrich Zille erstmals mit Beteiligungen an Ausstellungen der Berliner Secession als freischaffender Künstler an die Öffentlichkeit getreten. Seine schonungslosen Schilderungen des sozialen Elends waren von großer Wirklichkeitsnähe, seine Zeichnungen in Stilistik und Bildaufbau ungewöhnlich, so dass sie der Kritik sofort auffielen. „Künstlerdrucke“ und Graphikeditionen, die Zille selbst und sein Galerist Fritz Gurlitt über die Jahre herausbrachten, fanden sehr wohl den Weg zu Kunstliebhabern. Den bis heute nachwirkenden Erfolg in der breiten Öffentlichkeit erzielte Zille jedoch mit vielfigurigen, witzig-pointierten Zeichnungen, die seine eigentlich genau beobachteten Schicksale des sozialen Elends in typisierte Figuren auflösten.
Heinrich Zille, Hunger, 1924, Lithographie ©Privatsammlung
Das Blatt war Teil der sogenannten Hunger-Mappe von sieben Originallithographien, die zugunsten der Internationalen Arbeiterhilfe verkauft wurden. Es beteiligten sich namhafte Künstler wie Otto Dix, George Grosz, Eric Johannsson, Käthe Kollwitz, Otto Nagel und Heinrich Zille
Die Ausstellung konzentriert sich daher auf Motive, die sich vergleichbar auch bei Käthe Kollwitz finden: die Ausgegrenzten, die Verlierer der Industrialisierung und Verstädterung. Themen wie Prostitution, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit, Kinderarmut und prekäre Wohnverhältnisse beschäftigten beide Künstler gleichermaßen. Anders als bei Kollwitz‘ Arbeiten droht die Tragik der Darstellung durch die lakonisch-humorigen Bildunterschriften, die Zilles Illustrationen begleiteten, jedoch häufig in den Hintergrund zu geraten. Das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin möchte mit seiner Werkauswahl den „Pair der großen Zeichner“ (Fritz Stahl 1928) wieder stärker in das Bewusstsein holen.
Neben ausgeführten Blättern, die detailliert das Milieu schildern, werden auch kolorierte Arbeiten gezeigt, die in ihrer farblichen Zurückhaltung das ganze technische Raffinement Zilles dokumentieren. In den schnell hingeworfenen Skizzen wiederum zeigt sich das Können des Zeichners im Erfassen von Formen und Bewegungen.
Käthe Kollwitz hatte Ende der 1920er Jahre über Heinrich Zille geschrieben:
„Es gibt mehr als einen Zille: einen, der die typischen Illustrationen für Witzblätter machte, und daneben einen anderen. […] und dieser ist mir der liebste. Der ist weder Humorist für Witzblätter noch Satiriker. Er ist restlos Künstler.“
Gezeigt werden über 50 Arbeiten aus einer Berliner Privatsammlung, darunter frühe, aufwändig überarbeitete Druckgraphiken, farbige Radierungen, Farbzeichnungen und Bleistiftskizzen.
Das Berliner Käthe-Kollwitz-Museum wird im Frühsommer 2022 seinen neuen Standort am Schloss Charlottenburg beziehen. Gegenüber dem Theaterbau, in der Sophie-Charlotten-Straße, wohnte einst von 1892 bis zu seinem Tod 1929 Heinrich Zille. Unsere Ausstellung ist daher auch als erste Annäherung an den neuen Standort zu verstehen.