Käthe Kollwitz war eine engagierte Briefe­schreiberin, sie führte um­fang­reiche Korrespondenzen mit ihren zahl­reichen Freunden, Ver­wandten und Bekannten, aber auch mit Sammlern und Museums­kuratoren.

Das Käthe-Kollwitz-Museum Berlin erhielt kürz­lich eine groß­zügige Schenkung von über 30 Briefen und Brief­karten der Künst­lerin an den damaligen Leiter der Kunst­halle Bielefeld, Dr. Heinrich Becker.

Sibylle Rauscher (links) übergibt das Konvolut Briefe an Direktorin Dr. Josephine Gabler

Für die Familie von Heinrich Becker über­gab Sibylle Rauscher, Passau, diese über viele Jahre ge­führte Korres­pondenz an das Berliner Kollwitz-Museum. Das Kon­volut um­fasst die Zeit von 1928 bis 1944 und damit die Jahre der größten Er­folge von Käthe Kollwitz über ihre Ver­femung durch die National­sozialisten bis zu ihrer Evakuierung aus Berlin.

Aus den schrift­lichen Äußerungen von Käthe Kollwitz ist vieles über ihr Werk zu er­fahren, da Heinrich Becker offen­sicht­lich sehr kon­krete Fragen zu bestimmten Arbeiten der Künst­lerin ge­stellt hatte. Leider haben sich die Briefe des Bielefelder Museums­leiters an Kollwitz nicht er­halten. Sie gehören, wie fast alle Briefe, die Käthe Kollwitz über Jahr­zehnte erhalten hat, zu den Kriegs­verlusten.

1967 ver­öffent­lichte das Städtische Museum Bielefeld Teile des auf­schluss­reichen Brief­wechsels der Künst­lerin mit dem Kunst­historiker in einem schmalen Büch­lein.

So heißt es bei­spiels­weise in einem Brief vom 31. Januar 1933:

„Sehr geehrter Herr Dr. Becker

Für Ihren langen aus­führ­lichen Brief danke ich Ihnen sehr. Es ist mir immer lieb meine Blätter bei Ihnen in Bielefeld zu wissen. Wollen Sie bitte Ihrer Frau einen herz­lichen Gruß sagen für die Wärme, mit der sie mein Arbeiten auf sich wirken läßt….

Dann die beiden Arbeiten, nach denen Sie fragen: „ein­samer Mann“ und „Mutter m. Säugling“

Sie haben Recht, daß der „ein­same Mann“ Bruch­stück ist. Von einem Stein, dessen andere Hälfte ab­ge­schliffen ist. Es war der erste Ver­such der Ge­stal­tung der „Eltern“. Kriegs­zeit. Die Gestalt der Frau war mir nicht ge­glückt. Zwischen Frau u. Mann brannte ein kleiner Weih­nachts­baum. Ob die Steine zu den beiden jungen Müttern er­halten sind, kann ich Ihnen augen­blick­lich nicht sagen. Es geht mir näm­lich mit diesen beiden Blättern so, daß es mir nicht ganz klar ist, ob sie nicht kitschig sind. Ich habe kein sicheres Gefühl ihnen gegen­über. Falls die Steine ab­ge­schliffen sind, könnte ich von den wenigen Drucken, die exis­tieren, auch keine mehr ab­geben. Becke hat jeden­falls keine ….

Mit herzlichen Grüssen

Käthe Kollwitz“

Die er­wähnte Arbeit „Einsamer Mann“ ist bis Ende Oktober in der aktuellen Inter­vention zu den ver­worfenen Fassungen des Kriegs­zyklus zu sehen. Welche Arbeit Käthe Kollwitz mit „Mutter mit Säugling“ meint, ist derzeit noch un­klar.

Ausstellungsansicht der Intervention "Verworfene Fassungen Krieg": "Einsamer Mann" von 1919, Lithografie aus einer Schweizer Privatsammlung und rechts daneben "Die Eltern", 1919, Lithografie

Dr. Heinrich Becker, ge­boren 1881 in Braun­schweig, ge­storben 1972 in Biele­feld, hatte in Leipzig und Göttingen Sprachen, Literatur und Kunst­geschichte studiert. Er promovierte im Fach Französische Literatur und legte die Prüfung zum höheren Lehr­amt ab. 1908 trat er eine Stelle als Lehrer in Bielefeld an und unter­richte neben­bei Kunst­geschichte am Päda­gogischen Seminar der Stadt. Becker war ab 1921 aktiv und en­gagiert am Auf­bau einer Kunst­sammlung für Bielefeld be­teiligt und ver­anstaltete zahl­reiche Aus­stellungen zeit­genössischer Kunst. Mit der Gründung des Städtischen Kunst­hauses 1927 über­nahm Becker ehren­amtlich die Leitung und legte mit An­käufen und Aus­stellungen den Grund­stein für die heutige Be­deutung der Kunst­halle Bielefeld. 1933 wurde Becker seines Amtes ent­hoben. Bis dahin hatte er drei Einzel­aus­stellungen von Käthe Kollwitz präsentiert und weitere Werke von ihr in vier Themen­ausstellungen ge­zeigt.

Die von ihm auf­gebaute Sammlung er­litt er­heb­liche Ver­luste durch die Aktion „Entartete Kunst“ 1937, allein sieben Arbeiten von Käthe Kollwitz aus dem Besitz des Kunst­hauses wurden be­schlag­nahmt. Bereits Ende Mai 1945 wurde Heinrich Becker vom Bielefelder Bürger­meister ge­beten, erneut die Leitung des Kunst­hauses zu über­nehmen, die er bis zum Jahr 1954 inne­hatte. Die Originale der Kollwitz-Briefe be­finden sich nun dank der groß­zügigen Schenkung der Familie von Heinrich Becker im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin.

Die Be­schaffung weiterer Briefe der Künst­lerin ist Teil der Sammlungs­politik des Kollwitz-Museums und wird kontinuierlich voran­getrieben.